NEWS

Bild: My Life Through A Lens  on unsplash.com

Über die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams 


Der Transformationsprozess, in dem sich die Evangelische Kirchen in Hessen und Nassau befindet, greift in seiner Veränderungstiefe weit in die Kultur der Organisation und ihrer Subsysteme ein. An zwei Stellen wird das besonders offensichtlich: Zum einen wird mit der Bildung von sogenannten „Nachbarschaftsräumen“ das bisherige parochiale Gemeindebild und -denken massiv verändert und die Trias „Eine Gemeinde – ein Kirchturm – ein Pfarrer/eine Pfarrerin“ wird aufgebrochen. Zum anderen – und dieser Punkt schließt unmittelbar an die Veränderung des Gemeindebildes an – wird in bisherige Berufsbilder eingegriffen.


Mit der Bildung von Nachbarschaftsräumen werden auch sogenannte „Verkündigungsteams“ implementiert. Dabei ist der Eingriff in die Berufsbilder nicht unmittelbar, sondern vielmehr dadurch gegeben, dass Professionen und Berufe, die bislang bestenfalls in thematischen Schnittmengen kooperiert, häufiger jedoch eine „friedliche Koexistenz“ geführt haben, nicht selten jedoch in massive Spiel- und Konfliktdynamiken verwickelt waren, nun gehalten sind formell, inhaltlich und lokal in Teams zusammenzuarbeiten. 


Gemeint sind hier die drei Professionen und Berufe der Gemeindepädagog:innen, Kirchenmusiker:innen und Pfarrer:innen. Dazu kommt wie bisher die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die ganz ähnlichen „Spielregeln“ der Kooperation unterliegt, in ihrer Form allerdings nicht neu ist. Bei allen drei oben genannten Berufen handelt es sich um hochspezialisierte Tätigkeiten, die ihre Handlungen und Entscheidungen in einer jeweils spezifischen Fachlogik treffen. Die Herausforderung der Zusammenarbeit besteht nun darin, dass Menschen mit solchen drei unterschiedlichen Fachlogiken künftig in sogenannten „multiprofessionellen Teams“ gemeinsam die Arbeit in den Nachbarschaftsräumen gestalten und ausführen sollen. 


Worin aber besteht diese Herausforderung? Jede Berufsgruppe entwickelt, lernt und lehrt eine bestimmte Fachlogik. Verkürzt ließe sich der Begriff „Fachlogik“ auch mit der Vorstellung von „Sprache“ wiedergeben. Ergo: Berufsgruppen sprechen eine je eigene Sprache. Diese Sprache und die damit vermittelten Inhalte werden innerhalb der jeweiligen Berufsgruppe als selbstverständlich gehandelt und – ohne massive Irritation oder Notwendigkeit – nicht hinterfragt. In der Regel lässt sich in jeder Berufsgruppe eine dominante Fachlogik oder Rationalität finden, an der die überwiegende Zahl an Handlungen und Entscheidungen ausgerichtet sind. 

Vermutlich ist das innerhalb der Berufsgruppen keine ausschließlich bewusste Entscheidung. Vielmehr reduziert die jeweilige Logik die Komplexität in dem sie die Zahl der notwendigen oder möglichen Transaktionen verringert. Was wiederum bedeutet, dass sich die Zahl der Entscheidungen, mit denen Arbeitsprozesse gesteuert werden überschaubarer wird. Außerdem werden Menschen, die in derselben Logik agieren, deutlich anschlussfähiger an die Kolleg:innen, und die Notwendigkeit von Begründung des Handelns ist geringer oder entfällt ganz. 


Aber das Handeln in Fachlogiken oder Rationalitäten hat nicht nur Vorteile. Berufsgruppen, die innerhalb einer Fachlogik arbeiten, entscheiden und kommunizieren neigen zu dem, was man umgangssprachlich als „Betriebsblindheit“ bezeichnet. Häufig werden Menschen, Handlungen und Zusammenhänge regelrecht ausgeblendet oder nicht verstanden, die nicht zur eigenen Logik passen oder innerhalb dieser keinen Sinnzusammenhang erfüllen. Damit sind Berufsgruppen, die vorwiegend in der eigenen Fachlogik arbeiten, zum einen fehleranfälliger im Hinblick auf fachfremde Themen und zum anderen schlecht vorbereitet auf disruptive Veränderungen. 


An dieser Stelle scheint es sinnvoll sich drei Glaubenssätze – um nicht zu sagen Mythen – von Professionen und Berufsgruppen genauer anzuschauen: 


Erster Mythos: „Teams sind gut, wenn sie effizient sind.“


Es mag Zusammenhänge geben, in denen Effizienz einen eigenen Wert, gegebenenfalls sogar eine Notwendigkeit hat. Für Teams gilt jedoch vielmehr, dass die Ergebnisse nachhaltiger und passender sind, wenn sie unterschiedliche Logiken berücksichtigen und auf differenzierte Umwelten reagieren können. Dabei ist vor allem innerorganisational breite Legitimität wichtiger als Effizienz. 


Zweiter Mythos: „Spezialisierung und Expertise machen erfolgreich.“


Wie bereits unter dem vorhergehenden Punkt beschrieben, macht der Blick aus unterschiedlichen Logiken weniger fehleranfällig. Expert:innen haben eben vor allem eins: Expertise. Diese verengt in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Kontexten jedoch zu sehr den Blick. 


Dritter Mythos: „Es braucht in Teams eine dominante Rationalität.“


Dieser Satz sagt vermutlich mehr über die Machtbestrebungen und -bedürfnisse einzelner Teammitglieder aus, als über deren Verständnis von konstruktiver Kooperation. Hier gilt vielmehr, dass eine Vielzahl gleichberechtigter Rationalitäten hilft, auf komplexe Umwelten zu reagieren. 


Daher fünf Hinweise für die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams: 


Menschen, die in multiprofessionellen Teams arbeiten… 


  • wissen um die spezifische Fachlogik der eigenen Profession oder Berufsgruppe und sind sich bewusst, dass diese Kompetenz zu bestimmten Themen und Aufgaben etwas austrägt und zu anderen nicht. 


  • wissen um die anderen Fachlogiken und Rationalitäten in ihrem Team, wissen diese zu schätzen und zu nutzen und treten dabei nicht in Konkurrenz mit ihnen. Dabei gewichten sie die Unterschiede höher als die Gemeinsamkeiten. 


  • analysieren sowohl das gemeinsame Arbeitsfeld als auch die relevanten Umwelten mit unterschiedlichen Fachlogiken und Rationalitäten und wissen welche der Kolleg:innen zu welchem Thema anschlussfähig ist. 


  • verstehen die Fachlogiken der Kolleg:innen nicht in ihren Tiefenstrukturen, aber so weit, dass sie nachvollziehen können, was das Gegenüber tut. Umgekehrt gilt dasselbe: Sie fühlen sich „in ihrer Sprache“ verstanden. Multiprofessionelle Teams leisten eine permanente Übersetzungsaufgabe. 


  • sind neugierig und interessiert wie die gemeinsamen Entscheidungen in den Fachlogiken der Kolleg:innen umgesetzt werden. 


Alexander Janka


Alexander Janka

Studienleiter Fachstelle Organisationsentwicklung




Share by: